Wie junge Frauen und Männer sich für Gendergerechtigkeit einsetzen

Ziviler Friedensdienst in Liberia – "Empowering young people for the African renaissance"

Antje auf dem Youth Peace Summit, August 2023

Von Antje Schulz (Juni 2024)

Meine Zeit in Liberia endete im Oktober 2023. Drei Jahre lang habe ich für den Young Men Christian Association (YMCA) Liberia's Civil Peace Service (CPS) zu den Themen Gender und Kommunikation gearbeitet. Das Projekt wird von Brot für die Welt/Dienste in Übersee, Berlin unterstützt. 

Nach intensiver Vorbereitungszeit sollte es im April 2020 endlich losgehen. Doch ich wurde zunächst durch den Ausbruch der Covid19-Pandemie gestoppt. Mit viel Mühe bin ich mit sechsmonatiger Verspätung endlich an meinen Einsatzort gelangt und saß dann in Quarantäne. Es hieß also erstmal sitzen und schwitzen; Liberia hat ein tropisches Klima mit einer sehr heißen Trockenzeit und einer ausgeprägten Regenzeit. Und ich brauchte Zeit, um damit klar zu kommen.

Der Start war holprig und auch etwas merkwürdig. Aber mein Kollege Morris Kamara sen. hat sich von Anfang an um mich gekümmert und auch das Hotelteam war wirklich sehr um mein Wohl bemüht. Die Spannung war auf beiden Seiten sehr groß, als ich endlich beim YMCA meinen ersten Arbeitstag hatte, mit Maske. Und so lernte ich mein Team, "meine" Jugendlichen und das Land Liberia unter besonderen Umständen kennen. 

  • Im Bonner Haus der Bildung hält Antje Schulz den Vortrag „Liberias Jugend für Frieden und Frauenrechte“. In Kooperation mit der VHS Bonn berichten Fachkräfte im Entwicklungsdienst regelmäßig über Ihre Erfahrungen. Termin: 09.09.2024, 18 Uhr, VHS, Mülheimer Platz 1,53111 Bonn
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Frauenpower ist ein Teil der positiven Geschichte Liberias

Liberia ist ein kleines Land an der Westküste Afrikas, das seit 1847 eine präsidiale Republik analog zu den USA ist. Die 5,2 Millionen Einwohner*innen leben auf einer Fläche, die ca. 1/3 Deutschlands entspricht. Die treibende Kraft hinter der Staatsgründung war die American Colonization Society (ACS), die bestrebt war, afrikanische Menschen aus der Sklaverei zurück nach Afrika zu führen. Der erste Präsident des ACS war der spätere US-Präsident James Monroe. Nach ihm wurde die Hauptstadt Liberias Monrovia benannt. 

Im Jahr 1989 erschütterte der Ausbruch eines Bürgerkrieges das Land und es begann eine Zeit von brutaler Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, Flucht und Vertreibung. Seit 2003 herrscht Frieden, der maßgeblich von den Frauen Liberias und ihrer friedlichen Bewegung und ihrem unbeschreiblichen Mut erkämpft wurde. Eine bedeutende Führungsfigur ist Leymah R. Gbowee, die 2011 für ihr Engagement den Friedensnobelpreis erhielt. Ebenso wie Mdme Ellen Johnson-Sirleaf, die nach dem Krieg zur Präsidentin Liberias gewählt wurde und damit auch die erste weibliche Präsidentin Afrikas wurde. Das Thema Gender und der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder wurde mit ihr auf die politische Agenda gesetzt. Frauenpower ist also ein Teil der positiven Geschichte Liberias. 

CPS Team Morris Kamara sen., Antje Schulz, Decontee E. George - im Hintergrund unser Projektauto. Wir sind total beflügelt nach einem wunderbaren und erfolgreichen Training in Bong County.

YMCA – Inklusiv, respektvoll und unterstützend

Der YMCA ist der älteste YMCA auf dem afrikanischen Kontinent und seit 1881 aktiv, um junge Menschen auszubilden, zu stärken und für ein zivilgesellschaftliches Engagement zu begeistern. Das Motto lautet: "Empowering young people for the African Renaissance". Auch wenn der YMCA eine christlich geprägte und ursprünglich für junge Männer gedachte Organisation ist, so sieht die Realität im 21. Jahrhundert anders aus. Viele junge Frauen arbeiten und engagieren sich als Freiwillige für den YMCA und neben christlichen sind auch viele muslimische Jugendliche unter den Teilnehmenden, was den Ansatz des YMCA, inklusiv, respektvoll und unterstützend zu sein, für alle beeindruckend demonstriert. 

Ich hatte ein hervorragendes Team um Ms. Decontee E. George, die den CPS im Februar 2021 als Projektleiterin übernahm. Von da an konnten wir unsere Aufgaben mit vollem Engagement und wachsender Qualität voranbringen. Unsere Frauenpower wurde von allen geschätzt und von Kolleg*innen und dem CPS Netzwerk unterstützt. 

Wir konnten das CPS-Programm in vier YMCA-Zweigstellen in den Counties Nimba, Bong, Margibi und Montserrado umsetzen. Somit waren wir oft als Team unterwegs und sind mehr und mehr zu einer freundschaftlichen Einheit zusammengewachsen. 

Peace Advocate Training, Abschlussfoto, Dezember 2020

Gemeinsam haben wir einen dreiteiligen Gender-Trainingskurs für junge Frauen und Männer entwickelt und eingeführt, um sie als agents of change zu befähigen, selbstständig ihren Weg zu finden und für ihre Ideale einzustehen. Während meiner Dienstzeit konnten wir zwei vollständige Trainingszyklen abschließen, d.h. fast 400 junge Menschen schulen. Davon bildeten sich vierzig junge Frauen und Männer zu zertifizierten Gender-Advocates weiter, was wir gebührend gefeiert haben. Der dritte Zyklus begann 2023 und wird in diesem Jahr abgeschlossen, und auch wenn die Party diesmal ohne mich stattfindet, erreichen mich doch immer wieder Fotos, liebe Grüße und Erfolgsgeschichten. 

Ein besonderes Highlight in unserer Genderarbeit war, dass wir 40 junge Frauen und Männer in szenischer Arbeit und Videoprodukiton ausbilden konnten. Die Zusammenarbeit mit einem lokalen Film- und Videoteam war eine wundervolle Bereicherung und gegenseitige Inspiration, von der wir alle sehr profitiert haben. 

Kampagne #16Days of Activism

Frieden kommunizieren

In der Friedensarbeit ist es bedeutsam, dass wir den Frieden auch kommunizieren. Von Anfang an haben wir uns in Kampagnen stark gemacht. Seit 2020 haben wir zahlreiche Kampagnen zur Förderung der Geschlechtergleichstellung, zum Schutz von Kindern und zur Stärkung der Jugend gestartet. 

Daneben gab es regelmäßige friedenspolitische Veranstaltungen (Civic Engagements), bei denen unsere jungen Leute die Themen selbst bestimmten und die Planung mit unserer Unterstützung zunehmend selbstständig übernahmen. Die jährlichen YMCA Jugendcamps mit mehreren hundert jungen Menschen wurden zu "Youth Peace Camps" mit friedensfördernden Aktivitäten. Ein großes öffentliches Ereignis war unser Youth Peace Summit in Monrovia/Liberia im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Oktober 2023. Damit konnten wir ein wirksames Zeichen setzen und neue Partner, wie die Motorradunion, gewinnen. 

Gender Training Juli 2023- Lerninhalt: erfolgreiche Kommunikation und Kampagnen

Die größte Überraschung auf meiner ersten Feldexkursion war die YMCA Radiostation in Bong County. Wir hatten eine Radiostation in einem CPS Programm! Ich war begeistert, und wir gingen mit vielen Ups und Downs eine konzeptionelle Neuausrichtung der Radiostation an: So entstand das erste Youth Peace Radio in Liberia. Heute ist die Station eine akzeptierte Stimme als gender- und konfliktsensibles lokales Radio, das sich für Frieden und Verständigung einsetzt. 

Friedensstifter*innen – herausragend, dynamisch, aktiv

Jede YMCA-Sektion hat ein Team junger Leute vor Ort, die sich für ihre Anliegen einsetzen und Aktionen planen. Die Teams werden von zwei sogenannten Peace Advocates koordiniert. Gemeinsam mit den Videoteams, dem Radioteam in Bong und den Gender-Advovates beteiligen sie sich an Aktivitäten mit Gleichaltrigen (peer-to-peer learning), organisieren Peace Clubs an Schulen und erheben ihre Stimme gegen Gewalt und Ungerechtigkeit, indem sie Kampagnen und Veranstaltungen organisieren, um ihre Vorstellung von ihrem Afrika voran zu bringen. 

Wir sind sehr stolz auf unsere jungen Friedenstifter*innen. Sie sind herausragend, dynamisch und sind als aktive Bürger*innen ein wichtiger Teil in der liberianischen Zivilgesellschaft. Der Ansatz eines partnerschaftlichen Miteinanders und einer flexiblen Anpassung der Inhalte an die Interessen meiner lokalen Kolleg*innen und der jungen Menschen hat maßgeblich zu unsererm gemeinsamen Erfolg beigetragen.

Morris und Antje - Symbol für unsere Zusammenarbeit

Mir war es sehr wichtig, mit einem partizipativen Ansatz zu arbeiten, kritisches Denken (critical thinking) und das Erlernen von Diskussion (fishbowl) zu fördern und mit dem Einsatz kreativer Mittel (Malen, Theaterspiel, Videoproduktion etc.) zu verbinden. Unser Vertrauen in die jungen Menschen, ihre Wünsche und Ideen, haben viele Energien freigesetzt. Diese Art der konzeptionellen und strategischen Zusammenarbeit ist eine reiche Lernerfahrung für mich im Sinne des Global Learning. 

Die Menschen machen den Unterschied

Wir konnten nicht nur unser CPS Team beim YMCA Liberia inspirieren, sondern auch andere Kolleg*innen in anderen Projekten und Zweigstellen. Ich bin glücklich, so viel Eigeninitiative und die Weiterführung des Programms auch nach dem Ende meines Einsatzes zu beoachten. Es gibt eine großartige Radiostation, die auch im Zusammenhang mit den Wahlen Oktober/November 2023 in Liberia als friedensstiftende Stimme wahrgenommen und genutzt wurde. Im August 2023 fand die offizielle Einführung eines Gender Departments beim YMCA Liberia statt, das die gendersensible Arbeit, Training und Kampagnen des YMCA koordiniert und intensiviert, und die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren und dem Ministry of Gender, Children & Social Protection stärkt und die öffentliche Wahrnehmung fördert.

Ich bin sehr dankbar, dass ich für drei Jahre ein Teil dieses Teams und der YMCA Family war und diese wertvolle Arbeit mitgestalten konnte. Liberia, ein kleines Land mit sehr viel Potential. Es sind die Menschen, die den Unterschied machen.


Über die Autorin 

Antje Schulz ist studierte Sozialarbeiterin und hat in diesem Beruf in den 1990-iger Jahren mit dem Schwerpunkt emanzipatorische Behindertenarbeit und Integration gearbeitet. Danach folgte eine Zeit der Selbstständigkeit als Hypno- und Gesangstherapeutin, in der sie in ihrer eigenen Praxis und Atelier psychotherapeutisch und kreativ mit Theater und Gesang arbeitete. Die Sehnsucht nach mehr Internationalität brachte sie dazu, ihre Arbeit zu überdenken und neu zu kontextualisieren. Eine Ausbildung zur Friedens- und Konfliktbearbeiterin an der Akademie des forumZFD in Köln führte zu ihrem dreijährigen Auslandseinsatz als zivile Friedensfachkraft beim YMCA Liberia mit Dienste in Übersee/ Brot für die Welt bis Oktober 2023. Ihre Herzensangelegenheit ist das friedliche Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft, dem sie sich als interkulturelle Trainerin (dgikt) und Konfliktberaterin widmet.