Psycho­soziale und psychotherapeutische Unterstützungsangebote in Peru

"Ich habe so viel lernen dürfen von Leuten, die so viel weniger Chancen haben, diese aber – oft mit einem Lächeln im Gesicht – ergreifen."

Die Psychologische Psychotherapeutin Anamaria Silva-Saavedra war von 2007 bis 2014 als Friedensfachkraft für DÜ/BfdW in Peru in Ayacucho und Lima im Einsatz. Mit der NGO Paz y Esperanza entwickelte und realisierte sie unter anderem Angebote für Frauen, die Gewaltbetroffene des Bürgerkriegs waren. Zu den Aufgaben zählten psycho­soziale und psychotherapeutische Angebote, Fortbildungen lokaler Fachkräfte und Forschungsarbeiten zu psychischen Folgen von Gewalt. Es entstand ein virtuelles Netzwerk für Seelische Gesundheit und Friedens­kultur mit Angeboten für Konfliktbetroffene, Informationen zur Selbstfürsorge und Psychotraumatologie für die Fachkräfte und zur Gewaltprävention im Gemeinwesen.
Anamaria Silva-Saavedra lebt mit ihrer Familie in Bad Honnef und arbeitet beim Landschaftsverband Rheinland.
 

Frau Silva-Saavedra, Sie haben sieben Jahre in Peru als Fachkraft im Entwicklungsdienst gearbeitet. Was hat Sie motiviert, diesen Weg einzuschlagen?

Ich bin als Kind einer exil-chilenischen Familie 1974 nach Deutschland gekommen. Schon als Elfjährige habe ich mich in der Solidaritätsarbeit für Lateinamerika engagiert. Das fing damit an, dass wir auf Veranstaltungen Empanadas verkauft haben, um Geld für ein Kinderprojekt in Puerto Mont (Chile) zu sammeln. Ich habe später auch Gruppen-Reisen nach Lateinamerika organisiert und für das Dritte-Welt-Haus in Bielefeld gearbeitet, das eine Patenschaft für Projekte in Nicaragua übernommen hatte. Aus dieser Solidaritätsarbeit heraus ist auch die Motivation für meinen Entwicklungsdienst in Peru erwachsen.

Hinzu kommt: Als Exil-Chilenin bot mir der Entwicklungsdienst eine besondere Chance. Aus politischen Gründen durfte ich als Kind nicht in Chile leben. Über den Entwicklungsdienst konnte ich meine lateinamerikanische Identität durch den Einsatz im Nachbarland Peru bereichern.

Sie waren mit Ihrer Familie in Peru unterwegs. Wie haben Ihre Kinder die Rückkehr erlebt?

Die Kinder waren 16, neun und vier, als wir zurückkamen. Sie haben sich in Peru sehr wohl und zuhause gefühlt. Daher war die Rückkehr für sie schwierig. Meine 16jährige Tochter hat uns Vorwürfe gemacht, sie sei aus ihrer Heimat vertrieben worden, der Neunjährige fühlte sich eher als Peruaner und die Kleine vermisste die Kita, ihre Kinderfrau und das ganze Umfeld. Für sie hätte das Leben in Peru weitergehen können. Insgesamt hat es schon etwa zwei bis drei Jahre gedauert, bis die Kinder sich hier im Rheinland arrangiert hatten.
Im Grunde waren meine Kinder kleine Peruaner, als sie hier ankamen. Heute sind sie versöhnt mit dem Leben in Deutschland. Wir haben viel daran gearbeitet, um hier ein gutes Lebensumfeld für sie zu schaffen, aber Peru spielt nach wie vor eine große Rolle. So wünscht sich mein Sohn beispielsweise heute noch oft peruanisches Essen. Sie empfinden eine Art peruanisch-chilenischer Identität, fühlen sich nicht als Deutsche, sondern eher als keiner Kultur wirklich zugehörig.

Es gibt aber für uns noch einen besonderen Aspekt: Ich bin Exilchilenin und das sieht man mir und meinen Kindern an – etwa an den dunklen Augen und Haaren. Wir sind hier in Deutschland oft mit rassistischen Klischees konfrontiert, was die Kinder belastet und hier in Deutschland zu einem gewissen Gefühl von Fremdheit und Heimatlosigkeit führt. Das war in Peru natürlich nicht so. Aber unter dem Strich muss ich sagen: Wir haben heute hier in Deutschland unseren Lebensmittelpunkt und wir wissen das auch sehr zu schätzen. Deutschland ist ein Rechtsstaat und ein sehr sicheres Land. Hier konnten die Kinder plötzlich zu Fuß zu Freunden oder zum Sport gehen, in Peru ging das aus Sicherheitsgründen nur per Taxi. Es ist auch viel demokratischer und partizipativer als Peru und auch Chile, …

Wie haben sie selbst – privat und beruflich – die Rückkehr erlebt?

Der berufliche Einstieg war für unsere Familie schwierig. Es war für meinen Mann und mich nicht leicht, adäquate Stellen zu finden, die zugleich auch familienkompatibel waren. So musste ich anfangs täglich zwei Stunden zu meiner neuen Stelle in einer Klinik pendeln. Das kostete Zeit und Energie, die uns als Familie fehlte, beispielsweise um die Kinder besser bei ihrem Rückkehrprozess zu begleiten.

Als ich in den Entwicklungsdienst ging, hatte ich Angebote, mich hier in Deutschland in Richtung therapeutische Leitung weiterzuentwickeln. Alternativ hätte ich auch eine Praxis eröffnen können. Nach der Rückkehr musste ich doch einige Stufen tiefer wieder einsteigen. Das war schon ein Karriereknick und hat auch zu nicht unerheblichen finanziellen Einbußen geführt.

Ich bin psychologische Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Psychotraumatologie und Neuropsychologie. Das heißt, mein angestammtes Arbeitsfeld ist eigentlich eine psychiatrische Fachklinik, und dort wollte ich auch wieder hin. Nach der Rückkehr fand ich nach einiger Suche zwar eine fachlich adäquate Stelle – allerdings, wie schon erwähnt, eine Stunde Fahrzeit entfernt. Dort habe ich auch drei Jahre gearbeitet, was für uns als Familie mit drei Kindern extrem fordernd war.

Anamaria Silva-Saavedra mit ihrer peruanischen Kollegin Milagros Quiroz bei der Vermittlung von Atemübungen.

Wie hat sich ihr beruflicher Weg dann weiterentwickelt?

Inzwischen arbeite ich beim Landschaftsverband Rheinland (LVR), in dessen Zuständigkeit kommunale Aufgaben im Bereich „Gesundheit, Soziales, Kultur“ fallen – so auch das Thema Opferentschädigung. In Peru habe ich für und mit Bürgerkriegsopfern gearbeitet, hier bin ich nun auch mit der Entwicklung von Angeboten für Gewaltopfer beschäftigt. Im Landschaftsverband Rheinland bin ich als Fachberaterin in der Qualitätsentwicklung für Trauma-Ambulanzen nach dem Opferentschädigungsgesetz zuständig.

Haben Sie aus ihrer Zeit in Peru Kompetenzen mitgebracht, die heute für Sie beruflich wertvoll sind?

Ja, auf jeden Fall: Zum einen habe ich gelernt, nicht zuerst darauf zu schauen, was fehlt, sondern mehr auf das, was da ist, und daraus das Beste zu machen. Außerdem habe ich im Entwicklungsdienst sehr intensiv den Wert von Teamorientierung und Horizontalität kennengelernt: Wenn ich irgendwo neu bin, dann denke ich nicht: „Jetzt komme ich und sage, wo es laut Fachwissen lang gehen sollte.“ Stattdessen frage ich, höre zu und versuche zu verstehen, warum die anderen so agieren, wie sie agieren. Es ist mir wichtig, die Menschen zu würdigen in dem, was sie tun, auch wenn ich auf den ersten Blick selbst völlig anders an die Sache herangehen würde. Und das kann ich bei meiner Arbeit heute in einem großen Verband sehr gut zum Einsatz bringen.

Wie fällt denn Ihre persönliche Bilanz aus, wenn Sie auf ihren Entwicklungsdienst zurückschauen?

Institutionell finde ich an der Entwicklungszusammenarbeit schon einiges kritikwürdig. Der Anspruch ist hoch, was Augenhöhe und Partnerschaftlichkeit angeht. Dennoch habe ich vor Ort auch das Machtgefälle deutlich gespürt. Wo das Geld herkommt, da werden auch die Regularien und Abläufe bestimmt. Die Definitionshoheit – so ist meine Erfahrung – liegt vielfach in den Geberländern.

Wenn ich Bilanz ziehe, dann stellt sich für mich mit dem Begriff Entwicklungsdienst eine große Frage: Wer wird da eigentlich entwickelt? Ich sehe das so: Im Grunde bin ich entwickelt worden, und zwar von den Menschen in Peru und ihren Lebensbeispielen. Ich habe so viel lernen dürfen von Leuten, die so viel weniger Chancen haben, diese aber – oft mit einem Lächeln im Gesicht – ergreifen. Ich habe gelernt, dankbar zu sein und Dinge, die negativ sind, nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Meine persönliche Bilanz ist deshalb sehr positiv, weil ich diese Lebenskünstler erleben und beobachten durfte, wie sie das Leben sehen. Und weil ich neugierig bin, haben mir auch die Geschichten, die die Menschen dort erzählen, sehr gefallen. Das sind nicht immer schöne Geschichten, aber es sind wirklich gelebte Geschichten.

Das Interview entstand im Rahmen der AGdD Verbleibstudie 2022 für die Publikation "Die Welt im Gepäck. Zurückgekehrte Fachkräfte aus dem Entwicklungsdienst der Jahre 2011-2022". Das Gespräch führte Dieter Kroppenberg. 

 

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