Gegen Diskriminierung und Rassismus
Geflüchtete junge Menschen schützen und empowern
Von Veronika Reck
Als ich 2016 aus meinem Entwicklungsdienst in Sierra Leone zurückkehrte, habe ich mich zur systemischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin weitergebildet. In diesem Kontext bin ich zum ersten Mal auf XENION e.V. in Berlin aufmerksam geworden und habe dort ein neunmonatiges Praktikum absolviert. XENION ist ein psychosoziales Behandlungszentrum für traumatisierte Geflüchtete und für Opfer von Folter, Krieg und schweren Menschenrechtsverletzungen.
Nach einem weiteren Praktikum in einer Klinik, nach Mutterschutz, Elternzeit und zwei befristeten Tätigkeiten in anderen psychosozialen Projekten, bewarb ich mich 2020 erfolgreich bei XENION auf eine feste Stelle. Hier arbeite ich nun als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und begleite und stärke junge Menschen über einen längeren Zeitraum beim Ankommen in unserer Gesellschaft.
Als politisch und religiös unabhängige, nicht-staatliche Menschenrechtsorganisation haben wir uns klare Ziele gesetzt: Wir bieten geflüchteten Menschen Schutz, professionelle psychotherapeutische Hilfe und soziale Begleitung. Dabei verfolgen wir bei XENION einen interdisziplinären Beratungs- und Behandlungsansatz: dazu zählen nicht nur individuelle Therapie-Angebote, sondern unter anderem auch Sozial-, Rechts- und Wohnberatung sowie psychosoziale Gruppenangebote. Unsere Klient*innen kommen aus einer Vielzahl von Ländern, daher findet die Begutachtung und Behandlung in der Regel mit Hilfe von Dolmetscher*innen statt.
Ich schätze es sehr, dass wir im Team und darüber hinaus mit allen, mit denen wir zusammenarbeiten, eine geradezu familiäre Arbeitsatmosphäre erreichen. Das ist von großem Wert auch für die Klient*innen: „XENION ist wie eine Familie, ich weiß, dass ich immer hierherkommen kann, wenn ich Unterstützung benötige“ – diese Worte bekommen wir sehr oft zu hören.
Diskriminierung und Rassismus
Diskriminierung und Rassismus stellen für die jungen Menschen große Hürden dar. Sei es durch die menschenunwürdige Behandlung an den EU-Außengrenzen und in vielen EU-Ländern wie auch Erstaufnahmezentren innerhalb Deutschlands; sei es in Form von struktureller Diskriminierung und Alltagsrassismus – etwa in der Schule durch Lehrkräfte oder Mitschüler*innen. Für junge Geflüchtete sind dies herbe Rückschläge, die zusätzlich traumatisierend und schwer zu verstehen sind.
Die psychologischen Auswirkungen von Diskriminierung und Rassismus sind weitreichend erforscht. Je nach Entwicklungsalter der Kinder und Jugendlichen können sie Trauma-ähnliche Symptome hervorrufen und eine bereits bestehende psychische Symptomatik verschlimmern und zur Chronifizierung beitragen. Daher muss unser Fokus darauf liegen, diese jungen Menschen zu schützen und zu empowern.
Dafür ist es allerdings auch unabdingbar, dass wir als Fachpersonen unsere eigene Haltung und Arbeit reflektieren und rassismuskritisch weiterentwickeln. Aus diesem Grund haben wir bei XENION eine interne Fortbildungsreihe angestoßen, aus der eine Antirassismus-AG entstanden ist. In dieser sind Kolleg*innen aller Bereiche vertreten, die die kontinuierliche interne Auseinandersetzung mit dem Thema etwa durch Fortbildungsreihen organisieren. Außerdem haben wir ein Antidiskriminierungsteam ins Leben gerufen, das für Beschwerdefälle zu allen Formen von Diskriminierung für Kolleg*innen und Klient*innen ansprechbar ist. Und in Bewerbungs- und Einstellungsverfahren sowie im Rahmen des Angestelltenverhältnisses ist der Betriebsrat für die Aspekte Gleichstellung und Antidiskriminierung zuständig.
Sichere Räume anbieten
Für unsere Arbeit ist es wichtig, diskriminierenden und rassistischen Erlebnissen Raum zu geben, zuzuhören, zu validieren und zu normalisieren, welche Gefühle die Erlebnisse individuell auslösen. Die Heranführung der jungen Menschen an diskriminierungsfreie und rassismussensible Räume und Angebote kann diesbezüglich sehr empowernd sein und sollte unbedingt gefördert werden.
XENION hat beispielsweise – nach der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 – eine Gruppe für dari-/farsi-sprachige Jugendliche ins Leben gerufen, die ein Sozialarbeiter gemeinsam mit einem dari-/farsi-sprechenden Gruppenleiter leitet und die eine Art „safe(r) space“ darstellt. Wir haben auch erneut ein Gruppenangebot für Jugendliche aus afrikanischen Herkunftsländern, peer-begleitet, eingerichtet.
Zudem gibt es regelmäßig Gruppenangebote insbesondere für junge Geflüchtete, in denen es um Empowerment, Rechte und Teilhabe geht, aber auch um gemeinschaftliche Aktivitäten in Berlin oder auch kreatives Arbeiten – etwa in Form eines Foto-Projekts – oder Lernen.
Ausblick
Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht, dazu gehört auch eine menschenwürdige und angemessene Unterbringung und Versorgung. Allerdings hindert die deutsche Asylgesetzgebung Menschen daran, in Deutschland anzukommen, die Sprache zu lernen und ihr Leben aktiv zu gestalten. Grund genug, uns bei XENION jedenfalls weiterhin für genau diese Menschenrechte einzusetzen, für alle Menschen, die hier Schutz suchen.
Oktober 2024
Den ausführlichen Bericht von Veronika Reck finden Sie in transfer 01/2022