Eine Kommunikationskampagne der Partnerorganisationen des Wfd in Bolivien

„Mit Dialog und Gewaltfreiheit überwinden wir die Pandemie“

von Kolja Stang

Der Weltfriedensdienst e.V. und die drei bolivianischen Partnerorganisationen ISALP, ACLO und CJA haben eine breitangelegte Medienkampagne ins Leben gerufen, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf die anhaltend hohe Gewalt gegen Frauen und Kinder, die fehlende Inklusion und Partizipation von marginalisierten Gruppen (indigene Gemeinschaften) sowie auf die Notwendigkeit der Förderung einer umfassenden Friedenskultur im südlichen Bolivien zu lenken.

Hintergrund

Die Auswirkungen der Pandemie Covid-19, die auch unseren Projektalltag seit über einem Jahr stark einschränken, haben zu einem Anstieg sozialer Konflikte und Gewalt in Bolivien geführt. Dazu zählt neben der Zunahme an häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen und Kinder auch der Ausschluss marginalisierte Gruppen, wie indigenen Gemeinschaften, an Entscheidungsprozessen zur Bewältigung der Pandemie mitzuwirken. Besonders prekär ist die Situation für Frauen und Mädchen: Allein im vergangenen Jahr (2020) wurden offiziell 113 Feminzide gezählt, dies entspricht einem Mord an einer Frau alle drei Tage, meistens durch ihren Partner oder Ex-Partner. Die bolivianische Staatsanwaltschaft zählte für das Jahr 2020 ebenfalls 37.639 Verstöße gegen das Gesetz 34811, dass Frauen ein Leben ohne Gewalt garantieren soll, und 51 Infantizide (Kindstötungen). Zu diesen Zahlen muss angemerkt werden, dass die Dunkelziffer der Gewalttaten gegen Frauen, Mädchen und Kinder im Allgemeinen deutlich höher liegt. Die tatsächliche Situation kann aber aufgrund verschiedener Faktoren, wie Diskriminierung durch Behörden, fehlender Unterscheidung zwischen Tötungsdelikten und Feminiziden und weitverbreiteter Straflosigkeit nur unzureichend dargestellt werden.

Feminzide = Frauenmorde

Der Begriff „Feminizid“ geht auf die Soziologin, Autorin und feministische Aktivistin Diana Russell (1976) zurück und bezeichnet eine spezifische Form des Mordes an Frauen und Mädchen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Feminzide stellen keine vereinzelnden „Beziehungstaten“ dar, sondern folgen dem Muster geschlechtsspezifischer Gewalt. Dieser liegen verschiedene Gründe wie Frauenfeindlichkeit, das Gefühl der Geschlechterüberlegenheit und der Vorstellung von Frauen als Besitz zu Grunde. Feminizide sind Folge der Diskriminierung von Frauen aufgrund sozialer und kultureller Praktiken, die die Dominanz der Männer und die Abwertung der Frauen festschreiben. Feminizide gehen daher eindeutig auf ungleiche Macht- und Herrschaftsverhältnisse zwischen den Geschlechtern zurück und müssen als strukturelle Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen bezeichnet werden.

Weitere Informationen finden Sie auf der WFD- Themenseite „Gewalt gegen Frauen“ und:

Aus den beschriebenen Gründen haben die bolivianischen Partnerorganisationen Centro Juana Azurduy (CJA), Investigación Social y Asesoramiento Legal de Potosí (ISALP) und Fundación Acción Cultural Loyola (ACLO) mit Hilfe des Weltfriedensdienst e.V. eine Kommunikations- und Medienkampagne für das südliche Bolivien ins Leben gerufen. Ziele der Kampagne „¡Eres mejor que eso! Con diálogo saldremos la pandemia” („Du kannst das besser! Mit Dialog überwinden wir die Pandemie”) sind die Schaffung von sicheren Dialogräumen und die Stärkung, Inklusion und Teilhabe marginalisierter Gruppen, wie Frauen, Kindern und indigenen Gemeinschaften in die Diskussion über die Bewältigung und Folgen der Corona-Pandemie. Die Kampagne soll auch die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit einer umfassenden Gewaltprävention auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen und zu einer Sensibilisierung der Bevölkerung führen. Die Pandemie hat in Bolivien zu einer Verschlechterung der ökonomischen sowie der sozialen Situation geführt, dies hat bereits und kann weiter zu einer weiteren Verschärfung der direkten, strukturellen und kulturellen Gewalt in der bolivianischen Gesellschaft führen. Eine weitere Forderung der Kampagne „Eres mejor que eso! / Du kannst das besser!“ und des WFD-Programms in Bolivien ist die Förderung und Verankerungen einer Friedenskultur sowie die Respektierung und die Durchsetzung der Menschenrechte.

Maßnahmen unserer Kampagne

Da die Arbeit unserer bolivianischen Partnerorganisationen durch die Pandemie weiterhin eingeschränkt ist, wurde eine umfassende Kommunikations- und Medienkampagne entwickelt, die sich über den gesamten Süden des Landes erstreckt. Mittlerweile werden die Online-Angebote aber auch in den großen Städten Boliviens, wie La Paz, El Alto und Cochabamba genutzt.

Um die Reichweite und Relevanz der Kampagne zu steigern, wurden die Videos, Radiobeiträge und die Radionovelle „Maestra Pacífica“ in den Sprachen Spanisch, Quechua und Guaraní produziert und durch mehr als 15 lokale Radiosender und verschiedene Fernsehanstalten verbreitet. Um die ländliche Bevölkerung in den Departamentos im Süden zu erreichen, ist die Übertragung der unterschiedlichen Beiträge via Radio nach wie vor die beste, manchmal auch die einzige, Möglichkeit.

Die Kampagne „Eres mejor que eso“ arbeitet neben den klassischen Kommunikationsmedien wie Radio und Fernsehen auch mit sozialen Netzwerken wie Instagram, WhatsApp-Gruppen und Facebook (https://www.facebook.com/reconciliemosbolivia), in denen über die bestehenden Angebote, die Corona-Pandemie sowie Möglichkeiten der Gewaltprävention anhand von Grafiken, Videos und GIFs informiert wird. Um die bestmöglichste Integration der ländlichen Bewohner*innen in die Kommunikationskampagne zu gewährleisten, wurden darüber hinaus auch klassische Informationsmaterialien wie Poster und Flyer entworfen. Neben dem künstlerischen Poster „Contra la pandemia de violencia“ (Gegen die Pandemie der Gewalt) informieren die Flyers über Schutzmaßnahmen vor einer Covid-19 Erkrankung sowie über verschiedene Gewaltformen und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung für Betroffene.

Teil der Kampagne ist ebenfalls ein landesweiter Wettbewerb, der die bolivianische Bevölkerung dazu aufruft, ihre eigenen Erfahrungen während der Corona Pandemie oder mit Gewalt in Form von Geschichten, Gedichte, Videos, Podcast, Songs, Bilder und Radiobeiträge zu verarbeiten. Mit diesen persönlichen Erlebnissen und Eindrücken werden wir das Kampagnenziel die „Förderung einer Friedenskultur und Gewaltprävention“ eine zusätzliche sehr persönliche Perspektive geben können.

Um ein weiteres Publikum in die Kommunikations- und Medienkampagne zu integrieren, haben wir virtuelle Workshops zu den Themen „Covid-19 und psychischer Gesundheit“ und “Gewalt und Friedenskultur“ mit jeweils zwei Referenten, unter anderem dem ehemaligen bolivianischen Übergangspräsidenten Dr. Eduardo Rodríguez Veltzé (2005/2006), angeboten. Die virtuellen Workshops stärken die Kenntnisse der Teilnehmer*innen über die Corona Pandemie und die Friedenskultur und zeigen verschiedene Wege aus der doppelten „Pandemie“ (Corona und Gewalt) auf.

Zusammenfassung

Die Kampagne „Eres mejor que eso! Con diálogo saldremos de la pandemia” („Du kannst das besser! Mit Dialog überwinden wir die Pandemie”) fordert die Inklusion und Partizipation von marginalisierten Gruppen, die Überwindung von Alltagsgewalt gegenüber Frauen und Kindern sowie die Förderung einer Friedenskultur und freien Dialogräumen.

Auf www.reconciliemosbolivia.org können sich interessierte Leser*innen über die Medien- und Kommunikationskampagne informieren.

1 Ley integral para garantizar a las mujeres una vida libre de violencia, Ley 348 de 2013. Weitere Informationen zu den offiziellen Daten: https://fiscalia.gob.bo/index.php/estadisticas (Fiscalía General del Estado Plurinacional de Bolivia).

Mehr über Entwicklungsdienst während der Corona-Pandemie