Interview SY ISSAKA Maman Tahirou

Gleichbehandlung formell und informell pflegen

SY ISSAKA Maman Tahirou war fast 10 Jahre lang für die GIZ in verschiedenen Ländern tätig und hat 15 Jahre bei EIRENE, zunächst als Fachkraft im Entwicklungsdienst, später als Regional-Koordinator und Landes-Referent gearbeitet (bis August 2022). Dort hat er zuletzt den Antidiskriminierungsprozess koordiniert. Im Interview berichtet er über die Erfahrungen, die er als Schwarzafrikaner mit Diskriminierung und Vorurteilen gemacht hat.

SY ISSAKA Maman Tahirou im Einsatz.

Sie kommen gebürtig aus dem Niger, haben unter anderem als Fachkraft in Mali und in Burkina Faso gearbeitet, waren für Eirene Koordinator in der Region der Großen Seen und in Deutschland zuständig für das Programm in Nicaragua. Sie haben also in verschiedenen Ländern und Kontexten gearbeitet. Haben Sie währenddessen Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht? Und wenn ja, welche?

Tatsächlich ist es als Schwarzafrikaner schwierig, im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu arbeiten und nicht auf die eine oder andere Weise Diskriminierung zu erleben. Persönlich kann ich von zwei Erfahrungen sprechen, die sich fest in meinem Bewusstsein verankert haben. Zum einen wird das Konzept der Entwicklungszusammenarbeit immer noch als eine „Einwegmaßnahme“ vom Westen nach Afrika erlebt. Dieses Verständnis, das manche auch als "kolonisierte Mentalität" bezeichnen, ist noch sehr präsent und macht es einigen afrikanischen und europäischen Menschen schwer, einen Schwarzen Entwicklungshelfer zu akzeptieren. Sie setzen „Entwicklungshelfer“ mit weißer Hautfarbe gleich, da die Ressourcen und das Wissen aus Europa kommen. Das führt dazu, dass ich Schwierigkeiten hatte, als „Entwicklungshelfer“ akzeptiert zu werden.

Noch schwieriger war es später in meiner Position als Koordinator, da diese mit mehr Macht und Entscheidungsbefugnis über die Ressourcen einhergeht. Ich war mit Fragen konfrontiert wie “Wieso schickt man uns einen Schwarzen Koordinator?“ oder „Wie wirst du reagieren, wenn deine afrikanischen Brüder Geld veruntreuen?“.

Auf der anderen Seite gibt es Organisationen, die den Schritt wagen, ihr Personal zu diversifizieren und Nicht-Europäer in europäische Teams zu integrieren. Eine solche Politik steht leider oft vor großen Herausforderungen, da sie nicht immer automatisch von allen weißen Mitarbeiter*innen getragen wird. Das ist auch durchaus verständlich. Es ist nicht immer einfach, Privilegien aufzugeben, zu teilen oder zu nutzen, um ein Gleichgewicht zu schaffen. Und so habe ich Situationen erlebt, in denen Kolleg*innen sich angegriffen fühlten und mir gesagt haben: „Es tut mir leid Tahirou, ich kann nicht ändern, dass ich weiß bin.“

Welche Ebenen spielen Ihrer Meinung nach beim Zusammentreffen von Menschen mit Blick auf Vorurteile und Diskriminierung eine Rolle?

In unseren persönlichen Beziehungen befinden wir uns in der Regel in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen unseren Werten und unseren Interessen. Meiner Meinung nach sind diese beiden Dimensionen entscheidend, wenn es um gegenseitige Rücksichtnahme und den Abbau von Vorurteilen oder Diskriminierung geht.
Im Laufe meiner Berufserfahrung hatte ich Kolleg*innen, die gegenüber meinen Fähigkeiten sehr skeptisch waren und die auf ihren eigenen Lebens- und Arbeitsprinzipien beharrten und mir diese aufzwingen wollten. Ich bin auch Menschen begegnet, die sich nur für Projektergebnisse interessierten und die sozialen Aspekte des Teamlebens außer Acht ließen. In beiden Fällen habe ich Diskriminierung erlebt, mit der ich umgehen musste, um ein persönliches und berufliches Gleichgewicht zu finden. Für den Diversifizierungsprozess ist es wichtig, dass nicht nur formal gleiche Arbeits- und Sozialregeln für alle gelten. Um eine gewisse Chancengleichheit zu gewährleisten, ist es darüber hinaus unumgänglich, dass eine Gleichbehandlung auch informell im Umgang gepflegt wird. Dies erfordert auch strukturelle Veränderungen innerhalb der Organisation.

Im Entwicklungshelfer-Gesetz ist verankert, dass für eine Fachkrafttätigkeit eine europäische Staatsbürgerschaft vorausgesetzt wird. Wie stehen Sie dazu?

Es stimmt, dass das Gesetz Grenzen hatte. Jedenfalls empfand ich persönlich das Gesetz als sehr diskriminierend. Ich bin der Meinung, dass der Entwicklungshilfeansatz im ursprünglichen Sinn überholt ist. Dieser ging davon aus, dass eine Fachkraft einen externen Blick und eine externe Expertise in ein Projekt einbringt. Allerdings weiß man in einer zunehmend globalisierten Welt nicht mehr, wer in welchem Kontext extern ist. Mein Vorschlag ist, sich vor allem auf die Suche nach Expertise zu konzentrieren, unabhängig davon, aus welchem Land sie kommt. Es sollte den Institutionen überlassen werden, das passende Fachpersonal zu finden, ohne eine bestimmte Herkunft vorzuschreiben.

Bei Eirene haben Sie den rassismuskritischen Veränderungsprozess innerhalb der Organisation koordiniert. Was verbirgt sich hinter diesem Prozess?

Im Herbst 2015 hat bei EIRENE ein rassismuskritischer Veränderungsprozess begonnen, mit einer Steuerungsgruppe und einem externen Beratungsteam.

Nun, es ist schwierig, einen Prozess des „Mentalitätswandels“ in wenigen Worten zu erklären. Kurz gesagt: EIRENE hat diesen Prozess angestoßen, um seine antidiskriminierenden Werte der Gewaltfreiheit wieder an die Oberfläche zu bringen und wiederzubeleben. Diese Werte existieren in den Grundsätzen bereits seit der Gründung von EIRENE. Sie wurden aber im Laufe der Zeit sowohl innerhalb der Institution als auch in Bezug auf das Modell der Zusammenarbeit mit der Außenwelt immer weiter zurückgedrängt.

Es gibt also Änderungsbedarf –sowohl intern als auch in Bezug auf das Kooperationsmodell, das den Partnern angeboten wird. Es geht darum, einen kritischen Blick auf alle Ebenen zu werfen und auch alle Vereinsstrukturen in Bezug auf Macht und Privilegien auf den Prüfstand zu stellen*.

Mit der Arbeit zum Thema Diskriminierung startet ein Prozess des Mentalitätswandels, der Zeit braucht. Meiner Meinung nach muss man dabei nicht nur selbst ein Vorbild sein, sondern auch ein Team haben, das daran glaubt und es lebt. Und dann ist es wichtig, diesen Prozess den Mitarbeitenden nicht aufzuzwingen, sondern die Menschen von der Relevanz des Prozesses mit konkreten Ergebnissen zu überzeugen.

SY ISSAKA Maman Tahirou

Welche eigenen Erfahrungen konnten Sie in diese Aufgabe einbringen? Was ist aus Ihrer Sicht bei einem solchen Prozess wichtig und was gilt es zu beachten?

Ich habe mich immer gefragt, inwieweit unsere eigenen Identitäten und unsere manchmal unvereinbaren Unterschiede das Zusammenleben und -arbeiten beeinflussen. In diesen Prozess habe ich natürlich meine Erfahrungen, die ich die letzten 22 Jahren in verschiedenen Kontexten in verschiedenen Positionen und mit verschiedenen Gemeinschaften gesammelt habe, eingebracht. Ich habe in mehreren afrikanischen Ländern, in Kuba und in Deutschland studiert und gelebt, und damit habe ich die Erfahrung und das gibt mir die Bereitschaft, unterschiedliche Verhaltensweisen vergleichen zu können und zu verstehen.

*Anmerkung:

Link zu EIRENE: eirene.org/themen/rassismuskritik

Wir haben bereits in transfer darüber berichtet: Ausgabe 02/2017: www.agdd.de/transfer