Erst AGEH-Fachkraft, nun im AGIAMONDO-Vorstand
Vincent Möller
Ich war von 2014 bis 2016 im Auftrag von Misereor als AGEH-Fachkraft in Indien, um dort die Integration von erneuerbaren Energien in die Projektarbeit lokaler Partnerorganisationen zu unterstützen. Als ich in Indien ankam, feierte das Land die Ankunft der indischen Sonde Mangalyaan in der Mars-Umlaufbahn. In Indien gab es also unzählige sehr gut ausgebildete Menschen – auch im Bereich Solar- und Windenergie. So war meine Rolle anfangs vor allem die des Lernenden. Bei vielen Besuchen in den Armensiedlungen von Mumbai, aber auch bei Partnern auf dem Land erfuhr ich immer mehr über die komplexen Probleme der Menschen, die oft nicht mit einfachen technischen Ansätzen zu bewältigen waren. So wuchs ich in die Rolle eines Vermittlers und Netzwerkers hinein. Zwar hatte ich oft keine perfekten Lösungen für die Partner parat – aber durch meine vielen Projektbesuche kannte ich Leute, die sich mit ähnlichen Fragen beschäftigten und konnte wertvolle Kontakte herstellen. Mir fiel es auch zunehmend leichter, die Perspektive der indischen Partner einzunehmen und diese in entwicklungspolitische Diskurse in Deutschland einzubringen – zum Beispiel auf Fachkonferenzen. Als ich dann beruflich richtig angekommen war, neigte sich meine Zeit als Fachkraft schon dem Ende zu. Wir mussten als Familie die nächsten Schritte planen – unsere Tochter war mittlerweile eineinhalb Jahre alt und das zweite Kind kündigte sich an. Sollten wir bleiben oder neue Wege einschlagen?
Aus der Megacity nach Ostfriesland
Das Leben in Mumbai ist nicht einfach. Es gibt keinen Ort, an dem man Ruhe findet. Der Lärm ist ohrenbetäubend, der Verkehr geradezu lebensgefährlich und während der Trockenzeit versiegt das Wasser in den meisten Haushalten für mehrere Stunden am Tag. Es fühlt sich nach einiger Zeit so an, als würde einem der ganze Staub und Lärm zur zweiten Haut – und dann stellt man überrascht fest, dass einem diese erstaunlich gut sitzt. Und so fiel uns der Abschied schwer. Dennoch entschieden wir uns als Familie, wieder nach Deutschland zu ziehen. In Emden fand ich eine Stelle als Stadtplaner. In Mumbai sehnt man sich oft sehr nach frischer Luft, grünen Wiesen und Entschleunigung. Aber: Ostfriesland fühlte sich manchmal auch wie eine Vollbremsung an. Deshalb war ich dankbar und froh, als ich 2018 die Möglichkeit erhielt, mich ehrenamtlich im Vorstand der AGEH – beziehungsweise heute von AGIAMONDO – zu engagieren.
Die Fachkraft Perspektive vertreten
Der siebenköpfige Vorstand trifft sich pro Jahr zu einer ganztägigen Klausurtagung sowie zu vier bis fünf meist halbtägigen Sitzungen, die meistens in Köln stattfinden. Während der Corona-Lockdowns mussten wir notgedrungen online tagen und daraus hat sich inzwischen ein hybrides Sitzungsformat entwickelt: Ich kann also an einigen der Treffen auch digital von zuhause aus teilnehmen, was den Reiseaufwand für diese ehrenamtliche Tätigkeit erheblich verringert. Trotzdem sind natürlich die Präsenztreffen in Köln am angenehmsten. Die personelle Zusammenarbeit hat sich ja stark verändert. In den Zielländern ist viel Fachwissen vorhanden und die Vermittlung von Know-how steht nicht mehr so im Fokus. Globaler Süden und Norden stehen vielmehr – wie etwa beim Klimawandel – vor vergleichbaren Fragen, auf die man nur gemeinsam und im Dialog Antworten entwickeln kann. Dieses neue Selbstverständnis und die daraus resultierenden organisatorischen Veränderungen prägen die Vorstandsarbeit in den letzten Jahren. Wichtige aktuelle Themen sind daher beispielsweise der Süd-Süd- oder der Süd-Nord-Austausch von Fachkräften oder die Einrichtung eines Klimadienstes. Meine Rolle ist es, die Interessen und Sichtweisen der Fachkräfte bei strukturellen und perspektivischen Überlegungen einzubringen. Dabei kann ich häufig auf die Erfahrungen aus meinem Indien-Einsatz zurückgreifen, welcher mir als paradigmatisch für eine zeitgemäße personelle Zusammenarbeit erscheint, die stärker auf Vernetzung und Vermittlung zwischen den Welten setzt. Diese ehrenamtliche Vorstandstätigkeit ermöglicht es mir, in Kontakt mit der Entwicklungszusammenarbeit zu bleiben und verantwortlich an Entscheidungen beteiligt zu sein. Außerdem kann ich AGIAMONDO etwas zurückzugeben für die fruchtbare und wichtige Lebensphase, die ich als Fachkraft erleben durfte. Eine Erfahrung, die ich gerne irgendwann wiederholen würde, wenn es sich denn mit Familie und beruflicher Entwicklung vereinbaren lässt.
Vincent Möller Diplom-Geograph 2014 - 2016: Indien, AGEH, heute: AGIAMONDO; Heute arbeitet er bei AGIAMONDO ehrenamtlich im Vorstand.
Der Artikel erschien in Facetten der Rückkehr- transfer 01/2023