Rückblick: Online-Fachgespräch

Myanmar – aktuelle Entwicklungen und Perspektiven

Zusätzlich zum AGdD-Online-Stammtisch findet zwei- bis dreimal im Jahr das Format "Online-Fachgespräch" statt, in dem ein inhaltlicher Impuls zu entwicklungspolitischen Themen oder zur Fachexpertise von Rückkehrer*innen diskutiert wird. Ideen dafür entstehen aus den Stammtisch-Themen der Teilnehmenden. Beim Online-Fachgespräch im April 2024 ging es um die aktuelle Situation in Myanmar und Perspektiven von Friedensarbeit.

Im Februar 2021 hat das Militär in Myanmar geputscht und verübt seitdem systematisch schwerste Menschenrechtsverletzungen. Nach anfänglichen friedlichen Protesten, die gewaltsam niedergeschlagen wurden, haben viele, vor allem junge Menschen, zur Revolution aufgerufen und den bewaffneten Kampf gegen die Junta begonnen. Diverse neugegründete People's Defence Forces und schon seit langem bestehende Armeen verschiedener ethnischer Gruppen kämpfen gegen die Junta. Weite Teile des Landes sind im aktiven Bürgerkriegszustand und fast drei Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht.

Für den Austausch haben wir Rückkehrer Felix gebeten, einen Einblick in die aktuelle Lage zu geben und seine Ausführungen für die Website zusammenzufassen.

Felix Hessler

Felix war von 2018 bis 2022 für die Kurve Wustrow als internationale Friedensfachkraft in einer burmesischen Erwachsenenbildungsorganisation tätig – erst in Yangon und nach Covid und dem Militärputsch aus seinem Nachbarland. Zusammen mit seinen Kolleg*innen hat der sehr eng mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengearbeitet und Friedensbildungstrainings im ganzen Land gegeben. Bevor Felix für die KURVE Wustrow gearbeitet hat, war er von 2013 bis 2017 sehr regelmäßig zu Forschungsaufenthalten in Myanmar. Durch seine Forschungstätigkeiten und die Arbeit mit Partnerorganisationen der KURVE Wustrow konnte er viele enge Beziehungen zu zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in Myanmar aufbauen und im Laufe der Jahre sind tiefe Freundschaften entstanden.

Auch heute arbeitet Felix nach wie vor für Organisationen in Myanmar: Seit 2022 ist er selbstständig und unterstützt burmesische Organisationen u.a. in den Bereichen Sicherheit, Friedensbildung und Konfliktsensivität. Die Arbeit mit seinen Kolleg*innen bleibt tägliche Inspiration und Antrieb für sein Engagement.

 

Putsch und Revolution in Myanmar

von Felix Hessler

Der Militärputsch in Myanmar vom Februar 2021 ist mittlerweile leider fast vollständig aus den deutschen Medien verschwunden, obwohl in weiten Teilen des Landes bewaffnete Konflikte an der Tagesordnung sind und die Militärjunta ungestraft schwerste Menschenrechtsverletzungen verübt. 

Es ist nicht möglich der aktuellen Situation und dem Leid der Bevölkerung in ein paar Absätzen Rechnung zu tragen. Die folgenden Zeilen sollen vielmehr zu einer tieferen Auseinandersetzungen ermutigen. Am Ende finden sich ein paar hilfreiche Links mit tiefergehenden Informationen und Unterstützungsmöglichkeiten. 

Zur Einordnung des Putsches und der gerade stattfindenden Revolution ist es notwendig, sich mit der Rolle des Militärs in Myanmar auseinanderzusetzen. In westlichen Industrienationen wie Deutschland ist das Militär zumeist ein Werkzeug der Regierung mit einem klar eingegrenzten Auftrag und Einflussbereich. Im Gegensatz dazu ist das Militär in Myanmar fest in die Politik, die Wirtschaft und andere gesellschaftliche Teilbereiche integriert. In Myanmar herrscht seit Beginn der 60er Jahre, mit nur kurzen Unterbrechungen, eine Militärdiktatur. Der sogennannte "Demokratisierungsprozess" ab2011 ist nicht etwa durch einen demokratischen Umschwung entstanden, sondern war von den Generälen schon 2003 im sogenannten "Sieben Punkte Fahrplan zu einer disziplinierten Demokratie" geplant worden. Da ist es nicht überraschend, dass im kurzen "demokratischen" Frühiling, das Militär automatisch 25 Prozent aller Sitze im Ober- und Unterhaus innehatte und auch verschiedene relevante Ministerien kontrollierte, wie das Verteidigungsministerium und das Ministerium für Innere Sicherheit. 

Myanmar: Friedenstraining mit Felix Hessler

Als die National League for Democracy und Aung San suu Kyi zu beliebt wurden und schrittweise Macht bekamen, hat das Militär dann schließlich am ersten Februar 2021 geputscht. Vermutlich hat das Militär auf einen 'weichen' Putsch nach thailändischem Vorbild mit nur wenig Widerstand gehofft, aber die Bevölkerung hat da nicht mitgespielt. Im ganzen Land haben tausende Lehrkräfte und medizinisches Fachpersonal die Arbeit niedergelegt und Millionen Menschen haben demonstriert. Nach zwei Wochen von sich ausweitenden, friedlichen Protesten hat das Militär mit menschenverachtender Brutalität zurückgeschlagen: Protestierende wurden mit gezielten Kopfschüssen getötet, tausende wurdeninhaftiert, viele davon gefoltert und ermordet. In den ersten zwei Monaten nach dem Putsch starben mehr als 700 Menschen. 

Protestformen haben sich daraufhin geändert: Massenproteste wurden seltener und es wurden vermehrt kurze "flashmobartige", kreative Proteste durchgeführt, ebenso silent strikes – Tage an denen niemand das Haus verlässt. 

Die Gewalt der Armee und systematische Unterdrückung der Bevölkerung ging (und geht!) weiter. Als Reaktion darauf haben nicht nur viele der Ethnic Armed Organisations (EAOs) den Waffenstillstand mit der Junta aufgekündigt, sondern viele junge Menschen sahen sich gezwungen sogenannte People's Defence Forcdes (PDFs) zu gründen und eine bewaffnete Revolution zu beginnen. Seit nun drei Jahren kämpfen verschiedene EAOs und diverse PDFs gegen die Junta und weite Teile des Landes befinden sich in aktivem Kriegszustand. Während es anfangs scheinbar an Koordination mangelte, konnten die Widerstandstruppen schrittweise Erfolge erringen. Seit dem Beginn von Operation 1027 und Operation 1111 (koordinierte Offensiven mehrerer EAOs und PDFs) im Oktober/November 2023 hat die Junta schwere Verluste erlitten. Ein großer Teil des Landes steht nicht mehr unter Kontrolle der Junta, sondern wird von EAOs und lokalen Gruppen verwaltet. Lokale Regierungsstrukturen, dür die EAOs zum Teil schon über viele Jahre den Grundstein gelegt haben, werden schrittweise ausgebaut und professionalisiert.

Ein Sieg der Revolution scheint zunehmend in greifbare Nähe zu rücken. Wenn die Junta fallen sollte, wird eine kritische Phase beginnen, in der verschiedene Gruppen ihre Interessen aushandeln müssen. Es ist zu hoffen, dass dann nicht alte Machtstrukturen, sondern die junge Generation die Diskussion bestimmt, um so einen wirklich demokratischen Staat aufzubauen. 

Zur weiteren Information empfehle ich die folgenden Webseiten: 

Um Menschen in Myanmar zu unterstützen, empfehle ich zum Beispiel: