Als Gynäkologin in Äthiopien: HIV-Prävention und Familienplanung
"Meine Afrikaaufenthalte während des Entwicklungsdienstes sind die Lebensphasen, die mir unglaublich viel bedeuten."
Annette Ballhorn hat zweimal Entwicklungsdienst geleistet. Zuletzt war sie 2011 bis 2013 mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Äthiopien. Dort hat sie unter anderem für die GIZ verschiedene Projekte und Programme beraten, wie diese die Themen HIV-Prävention und Familienplanung in ihre Aktivitäten integrieren können. Im Dezember 2013 kehrte die Familie nach Deutschland zurück, wo kurz darauf das dritte Kind geboren wurde.
Annette Ballhorn lebt mit ihrer Familie in Bordesholm und arbeitet als Oberärztin an der Frauenklinik des Friedrich-Ebert-Krankenhauses Neumünster.
Frau Ballhorn, sie waren zweimal in Afrika – in Ruanda und in Äthiopien – um dort Entwicklungsdienst zu leisten. Wie ist Ihr Interesse für die Entwicklungszusammenarbeit geweckt worden?
Mein Bezug zu diesem Thema kommt im Grunde schon aus meinem Elternhaus. Ich bin – vielleicht nicht unbedingt christlich – aber humanistisch geprägt, der Gedanke der Nächstenliebe ist für mich schon ein starker Antrieb. Als dann während meines Medizinstudiums ein Praktikum anstand, habe ich die Gelegenheit genutzt und bin sechs Wochen nach Ghana gegangen. Und da bin ich dann sozusagen „auf den Geschmack gekommen“.
Sie waren zuletzt zwei Jahre mit Ihrer Familie in Äthiopien. Wie haben Sie das erlebt?
Wir sind als Familie mit zwei kleinen Kindern nach Äthiopien ausgereist, unser Drittes wurde erst kurz nach der Rückkehr geboren. Die beiden waren bei der Ausreise zwei und vier, also noch sehr klein. Das ist normalerweise eine Lebensphase, die für junge Familien sehr anstrengend ist. Da geht es oft zusätzlich ja auch um Themen wie „Hausbau“ oder „berufliches Durchstarten“ und so weiter.
Für uns war das allerdings sehr viel entspannter, weil es gute Strukturen und auch Personal vor Ort gab – beispielsweise zur Kinderbetreuung. Wir hatten auch beruflich nicht so einen großen Druck und den hohen Puls. Somit haben wir die Lebenssituation mit zwei kleinen Kindern viel unkomplizierter erlebt, als sie es in Deutschland für uns gewesen wäre.
Sie sind aber dann nach zwei Jahren wieder aus Äthiopien nach Deutschland zurückgekehrt.
Ja, für uns stand nie in Frage, dass wir nach Deutschland zurückkehren. Mir gefällt an der klassischen Idee des Entwicklungshelfergesetzes gut, dass man nur auf Zeit im Einsatz ist und dann auch wieder zurückgeht. Das sorgt dafür, dass man sich den kritischen Blick von außen erhält, dass man eben nicht verhaftet ist in die Strukturen vor Ort.
Und wenn wir auch als Familie dort in Äthiopien eine gute Zeit hatten, so wollten wir doch, dass die Kinder in Deutschland aufwachsen und zur Schule gehen. Die Rückkehr war also von vorneherein geplant: Sowohl mein Mann als auch ich hatten Sonderurlaub für die Zeit meines Entwicklungsdienstes. So konnten wir beide wieder unsere Jobs aufnehmen. Unser Haus war während der Zeit untervermietet, selbst das Auto war noch da, als wir zurückkamen.
Spielt die Zeit in Afrika für Ihre Kinder heute noch eine Rolle?
Für unsere Tochter weniger, sie war bei der Rückkehr noch sehr jung. Aber für unseren Sohn sind die Erfahrungen aus Äthiopien bis heute ein kleiner Schatz, den er mit sich herumträgt und der für ihn etwas Besonderes ist. Das merkt man schnell, wenn er aus dieser Zeit erzählt und über seine Erinnerungen spricht.
Welche Kompetenzen und Erfahrungen, die sie aus dem Entwicklungsdienst mitgebracht haben, sind Ihnen besonders wichtig?
Durch den Entwicklungsdienst haben sich bei mir ein Gespür und auch die Toleranz für Vielfältigkeit stark entwickelt. Ich kann in Gesprächen und Überlegungen oft andere Blickwinkel einbringen und auch andere Aspekte wahrnehmen. Und das hat viel mit meinen Erfahrungen in Ruanda und Äthiopien zu tun. Man kommt auf kreativere Ideen, aus welchen Perspektiven man Dinge auch wahrnehmen und angehen kann. Beruflich habe ich außerdem im Bereich Projektmanagement und Organisationsentwicklung vieles gelernt, was ich auch heute hier in meine Arbeit im Krankenhaus einbringen kann. Und eines ist mir im Entwicklungsdienst noch klarer geworden. Jede Form von Schwarzweiß-Denken ist etwas sehr Gefährliches. Es ist für unsere Gesellschaft, für die Allgemeinheit so wichtig, auch die Schattierungen zu sehen und differenzierter zu sein.
Ich halte das für ein wesentliches Ziel von Bildung: Menschen dazu zu verhelfen, einen weiteren Blick zu bekommen. Daher engagiere ich mich auch gerne als Referentin im Kontext von Bildung trifft Entwicklung (BtE). Da kann ich aktuelle und hintergründige Informationen aus Medien und Literatur sehr gut durch viele Inhalte und Zusammenhänge aus eigener Erfahrung authentisch bereichern.
Das heißt, der Entwicklungsdienst hat auch Impulse für Ihr soziales Engagement gesetzt. Gibt es weitere Bereiche, in denen Sie sich mit Ihren Erfahrungen einbringen.
Ja, schon seit dem Studium und meinem praktischen Jahr in Heidelberg engagiere ich mich für die Arbeitsgemeinschaft „Frauengesundheit in der Entwicklungszusammenarbeit“ der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Direkt nach meinem ersten Aufenthalt damals in Ruanda habe ich mich dort inhaltlich eingebracht. Heute bin ich im Vorstand aktiv. Für diese Arbeitsgemeinschaft leisten viele Kolleg*innen tolle Forschung in Projekten, die ich für sehr wirksam und nachhaltig halte und in denen ich meine Ideale wiederfinde.
Ich mache auch zwei Veranstaltungen am Uni-Krankenhaus in Hamburg: eine zum Thema „Internationale Frauengesundheit“ und eine zur „Praktischen Geburtshilfe und Gynäkologie in Ländern mit einfachen Ressourcen“. Diese Lehrtätigkeit ist etwas, das ich ohne meine Erfahrungen als Fachkraft vermutlich nicht machen würde. Das macht mir viel Spaß, da es auch eine sinnvolle Ergänzung zu meinem Beruf ist.
Zusätzlich engagiere mich nun für ein Netzwerk zum Thema „Genitalverstümmlung“, das hier in der Region aufgebaut wird. Und auch da kann ich natürlich eine hohe Sensibilität und viel Hintergrundwissen aus meiner Zeit in Afrika mit einbringen.
Wie fällt denn im Rückblick mit ein paar Jahren Abstand Ihre persönliche Bilanz aus?
Meine Afrikaaufenthalte während des Entwicklungsdienstes sind die Lebensphasen, die mir unglaublich viel bedeuten, in meinen Erinnerungen, für meine eigene Identifikation, mit Blick auf meine Wertvorstellungen und letztlich in dem, was ich an meine Kinder weitergeben möchte.
Das Interview entstand im Rahmen der AGdD Verbleibstudie 2022 für die Publikation "Die Welt im Gepäck. Zurückgekehrte Fachkräfte aus dem Entwicklungsdienst der Jahre 2011-2022". Das Gespräch führte Dieter Kroppenberg.