Interview: Fundraising in Kambodscha
„Für uns war der größte Impuls die Angst vor der Spießigkeit“
Von 2013 bis 2016 war Dariush Ghobad mit seiner Frau und zwei Kindern von drei und sechs Jahren (bei der Ausreise) für Brot für die Welt/DÜ in Kambodscha.
Er hat dort für eine Partnerorganisation von Brot für die Welt gearbeitet, die finanziell von weltlichen und kirchlichen Akteuren abhängig war. Als Fundraiser vor Ort hat er das lokale und regionale Fundraising für diese Organisation konzipiert, so dass zunehmend Kambodschaner*innen – im Land und im Exil – die Arbeit der Organisation finanzieren.
Dariush Ghobad lebt heute mit seiner Familie in Freiburg und arbeitet als Referatsleiter Öffentlichkeitsarbeit bei Caritas International.
Herr Ghobad, woher stammte der Impuls, als Familie nach Kambodscha zu gehen, um dort Entwicklungsdienst zu leisten?
Wir hatten vorher kaum Bezüge zur Entwicklungszusammenarbeit. Für uns war der größte Impuls die „Angst vor der Spießigkeit“: Wir lebten in einem Reihenendhaus mit dem üblichen Komfort. Das war sehr schön, aber wir brauchten und suchten eine Herausforderung. Und tatsächlich waren wir da sehr konsequent. Wir haben sechs Koffer mitgenommen und uns drei Jahre auf etwas komplett Neues eingelassen – für uns ein großes Abenteuer. Aber dafür sind wir reich beschenkt worden. Und keiner von uns Vieren würde das gerne missen wollen.
Um dem Reihenendhaus zu entfliehen, hätte ja schon ein längerer Auslandsaufenthalt gereicht. Warum haben Sie sich für den Entwicklungsdienst entschieden?
Mir war klar, wenn wir ins Ausland gehen als Familie, dann sollte das eine Sinnhaftigkeit und Relevanz haben und das habe ich als etwas Wohltuendes erlebt. Die ganze Ausreise, die ganze Zeit in einem zunächst ja sehr fremden Land ist ja mit sehr viel Freude, aber auch mit Anstrengungen, Stress und Ungewissheit verbunden. Das konnte ich aber immer gut aushalten, weil ich das „wofür“ kannte – nicht aus Spaß oder Karrieregründen, sondern weil wir etwas verändernd wollten, was ich sehr sinnvoll fand.
Besonders gefallen hat mir die Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit, so wie ich sie im Entwicklungsdienst erlebt habe. Es ging darum, sich ersetzbar zu machen und nicht als der große Experte aufzutreten, der allen alles erzählen kann. Mein Ansatz war: Ich kenne mein Rückflugdatum, ich gehe wieder nach Deutschland, die Menschen bleiben hier. Es ging also nicht darum, etwas um meine Person herum aufzubauen, sondern nachhaltige Veränderungen der Verhältnisse vor Ort zu bewirken.
Wie hat sich der Entwicklungsdienst auf ihre Berufsbiografie ausgewirkt?
Für mich war es definitiv kein Karriereknick, sondern vielmehr eine wertvolle Erfahrung für den weiteren beruflichen Weg. Ich habe schon in der Vorbereitung und dann in der Zeit im Ausland viele Skills erlernt, die mir in der beruflichen Weiterentwicklung unheimlich weitergeholfen haben.
Ich bin hier nach der Rückkehr als Führungskraft eingestiegen, das war ich vorher in Deutschland nicht. Ich habe Personalverantwortung übernommen für zwei Teams mit 15 Leuten. Ich arbeite auch heute noch im internationalen Kontext in einem großen Not- und Katastrophen-Hilfswerk und da ist es sehr hilfreich zu wissen, wie die Dinge vor Ort laufen – auch wenn ich es nur exemplarisch an einem Land kenne.
Können Sie Beispiele für Skills nennen, die Sie mitgebracht haben?
Man erlernt beispielsweise eine andere Form der Gelassenheit und des Zeitmanagements, wenn man in Ostasien arbeitet, das sind eher die normalen Lernprozesse. Es geht aber auf einer höheren Ebene auch darum, dass man lernt, sich und seine Perspektive zurückzunehmen. Dass man es schafft, ganz andere Perspektiven zu verstehen und zwischen den verschiedenen Blickwinkeln zu moderieren. Das ist für mich als Führungskraft sehr wichtig. Ich verstehe mich nicht als jemand, der vor Leuten steht und sagt: ‚Ich weiß wie es geht und wo es langgehen muss‘, sondern ich habe in der Auslandsarbeit gelernt, eher auf die Expertise der Kolleg*innen zu hören und mit der Ambiguität oder Vieldeutigkeit umzugehen.
Haben Sie eigentlich manchmal Heimweh nach Ihrem Einsatzland? Und wie empfindet Ihre Familie das?
Kambodscha ist für mich Heimat und Teil meiner Identität. Bestimmte Bilder, bestimmte Gerüche, bestimmte Musik, bestimmtes Essen können immer wieder Heimweh nach Kambodscha in mir auslösen. Aber wir haben uns als Familie vorgenommen, erst einmal nicht dorthin zurückzukehren, um die schönen und wertvollen Erinnerungen nicht durch etwas Neues zu überlagern.
Es ist ein Geschenk und ein großes Privileg, das wir gemeinsam als Familie die Erfahrung Entwicklungsdienst machen durften. Wir vier konnten zusammen ein fremdes Land und eine fremde Kultur sehr intensiv kennenlernen. Dieses Geschenk haben wir mit Freude angenommen. Und dafür bin ich bis heute – und ich denke – auch mein ganzes weiteres Leben dankbar. Der Entwicklungsdienst hat vieles in meinem Leben so schön gemacht und erfüllt mich bis heute. Die Zeit hat uns auch als Familie geprägt und bei den Kindern bestimmte Blickwinkel und bestimmte Dinge hervorgebracht.
Ein Aspekt ist mir zum Schluss noch wichtig: Damit eine Familie wie wir drei Jahre einen Entwicklungsdienst in Kambodscha machen kann, dazu braucht es im Hintergrund sehr viele Menschen, die kompetent und engagiert arbeiten, dies vorbereiten, begleiten und auch den Rückkehrprozess unterstützen und moderieren. Die haben das Geschenk, das wir erleben durften, erst möglich gemacht. Wir haben viele geduldige und freundliche Menschen kennengelernt, die uns unterstützt haben. Das sind alles Überzeugungstäter*innen, auch wenn es um die kleinen Dinge geht. Und mir liegt auf dem Herzen, diesen Menschen unseren Dank auszusprechen.
Das Interview entstand im Rahmen der AGdD Verbleibstudie 2022 für die Publikation "Die Welt im Gepäck. Zurückgekehrte Fachkräfte aus dem Entwicklungsdienst der Jahre 2011-2022". Das Gespräch führte Dieter Kroppenberg.