Dialog statt Gewalt – Kolumbiens schwieriger Weg zum Frieden

von Gaby Weber

Mein Einsatz im Entwicklungsdienst in Kolumbien von 2013 bis 2016 als Beraterin für Friedensförderung & Konflikttransformation bei Foro Nacional por Colombia, einer Partnerorganisation von Brot für die Welt, fiel in die Zeit der Friedensverhandlungen unter der Regierung von Juan Manuel Santos (Präsident 2010-2018) mit der ältesten Guerillaorganisation FARC-EP (Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Armee des Volkes). 

Projektbesuch mit Kolleg*innen der AGEH und ZFD in Cauca, Oktober 2014

Der Hintergrund

Ab der 1960er Jahre entstanden verschiedene Guerilla Gruppen. Die beiden größten Guerilla-Gruppen sind die ehemalige FARC-EP und die ELN (Nationale Befreiungsarmee mit ca. 4.000 Kämpfern). Auslöser der gewaltvollen Konflikte waren die extreme soziale Ungleicheit, ungleiche Landverteilung und mangelnde politische Partizipation. Seit dieser Zeit kämpfen verschiedene Akteure (Guerilla, Paramilitärs, Drogenmafia, organisierte bewaffnete Gruppen, Militärs und Polizei) um territoriale Einflussnahme, Ressourcen und die Durchsetzung multinationaler Interessen v.a. im Bereich Bergbau und Agrarindustrie mit den Folgen massiver Vertreibungen, Umweltschäden und Abholzungen.

Der bewaffnete Konflikt kostete mehr als 10 Millionen Menschen-Opfer, die Hälfte davon Frauen; 450.000 Tote, 120.000 Verschwundene; Zwangsvertreibungen der Kleinbäuer*innen, Indigenen und Afrokolumbianer*innen mit mehr als 8 Millionen Binnenflüchtlingen sowie Zwangsrekrutierungen von Kindern und Jugendlichen. 

Die Friedensverhandlungen griffen einige der Hauptursachen des bewaffneten Konflikts auf, aber klammerten das umstrittene extraktivistische Entwicklungsmodell aus. In dem Abkommen einigten sich die beiden Parteien auf die

  1. Überwindung der Armut und ungleiche Landverteilung,
  2. die Förderung der politischen Partizipation,
  3. die Lösung des Problems der illegalen Drogen (Anbau und Konsum),
  4. Regeln zur Beendigung des Konfliktes mit den FARC, Entschädigung der Opfer und strafrechtliche Aufarbeitung des Konfliktes,  
  5. Implementierung, Überprüfung und Berichterstattung mit Internationaler Beobachtung und Mitwirkung (z.B. das deutsch-kolumbianisches Friedensinstitut „CAPAZ“)

Insbesondere die Einrichtung der ersten Genderkommission bei den Friedensverhandlungen erfuhr hohe internationale Anerkennung.

Seit Jahrzehnten setzen sich Indigene, afrokolumbianische und Frauen- und LGTBIQ Organisationen sowie zahlreiche NGOs friedlich für soziale Gerechtigkeit und Demokratie, eine Landreform, eine Abkehr von Ressourcenausbeutung sowie die Inklusion vulnerabler Gruppen und die Anerkennung der Diversität der Geschlechter ein[1].

Die Arbeit als Beraterin für Friedensförderung & Konflikttransformation 

Foro Nacional por Colombia (FORO) ist eine dieser Nichtregierungsorganisationen mit Sitz in Bogotá, die sich in ihrer überregionalen Arbeit auf Bürgerbeteiligung, Demokratisierung und zivile Konfliktbearbeitung spezialisiert hat. Sie unterhält Büros in den drei Städten: Bogotá (Zentralregion, Department Cundinamarca), Cali (Südwest Region; Department Valle de Cauca) und Barranquilla (Atlantik & Karibikküste, Department Atlantico). In diesen Regionen werden ca. 100 regionale Projekte unterstützt. Die Schwerpunkte der Arbeit umfassen folgende Themenbereiche:

  • Stärkung der Institutionen durch Soziale Inklusion
  • Aufbau einer demokratischen Kultur & friedliches Zusammenleben
  • Extraktive Industrien & Umweltschutz
  • Unterstützung ziviligesellschaftlicher Organisationen für aktive Bürgerbeteiligung durch Weiterbildung und Förderung des politischen Dialogs mit der Regierung, Privatsektor auf nationaler und lokaler Ebene

Ich arbeitete vorwiegend in der Hauptgeschäftsstelle in Bogotá, und unternahm im Rahmen meiner Aufgabengebiete der Organisationsentwicklung und Friedensarbeit regelmäßige Reisen in die beiden Regionalbüros. Neben Netzwerkarbeit, u.a. mit der Friedensplattform „Clamor Social por la Paz“ (Sozialer Aufschrei für den Frieden), und „Runder Tisch der Opfer“, bestand meine Hauptaufgabe darin, mit den Kolleg*innen vor Ort eine partizipative Strategieplanung in den drei Büros von FORO für die Jahre 2016 bis 2019 zu erarbeiten und die Herausforderungen nach Abschluss des Friedensvertrags  herauszukristallisieren. Die Umsetzung erfolgte durch die Konzeption eines internen Weiterbildungsprogramms, die Durchführung von Workshops und Konferenzen, sowie die Erstellung einer virtuellen Bibliothek mit einer kommentierten Bibliografie.

Projektbesuch mit Kolleg*innen der AGEH und ZFD in Cauca, Oktober 2014

Die Fortbildung zur Konflikt- und Friedensarbeit verfolgte das Ziel, den territorialen Frieden als politisches, soziales und kulturelles Projekt  im regionalen und lokalen Kontext aufzubauen. Das  Leitbild war ein positiver Friede, verstanden als Prozess des sozialen Wandels basierend auf den wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und Umweltrechten (WSKU – Rechte), Bürgerbeteiligung und menschlicher Sicherheit. In mehreren Workshops wurden Dialoge[2] mit unterschiedlichen Akteuren eingeübt, um auf lokaler Ebene einen Beitrag zu einer Kultur des Friedens[3] zu leisten. Dabei haben wir mit unterschiedlichen Formaten wie zum Beispiel Selbstreflexion, Visualisierungen, Gesprächsrunden und Rollenspielen gearbeitet. Um die Dialogfähigkeiten wie zum Beispiel Offenheit, Zuhören, Perspektivenwechsel und radikalen Respekt zu erlernen, bedarf es der Bereitschaft zu einem lebenslangem Lernen.

Seit Mitte der 2000er ist Dialogarbeit in der Entwicklungzusammenarbeit wesentlicher Baustein der Demokratie- und Friedensförderung. Das United Nations Development Programme (UNDP)[4] hat dazu in Kooperationsopartnern auch aus dem Zivilen Friedensdienst wegweisende Projekte zur Konflikttransformation und Friedensförderung konzipiert.

Mein Einsatz war im Oktober 2016 beendet. Der Friedensvertrag war in der ersten Fassung abgeschlossen und löste heftige Kontroversen im Land aus. Die Kritiker*innen sahen in der integrierten Landreform eine „Enteignung“ und witterten „Castro-Chavismo“, also einen Sozialismus à la Castro in Kuba und Chávez in Venezuela. Die sogenannte „Genderideologie“, die die traditionellen Werte der Familie angeblich bedrohte,  war inbesondere Stein des Anstoßes. In einem Referendum über das "Ja" oder "Nein" zu diesem Vertrag gewann knapp das "Nein". Der Vertrag wurde in überarbeiteter Fassung im Dezember 2016 verabschiedet. 

Ausblicke – Der schwierige Weg zum Frieden

Nach dem Abschluss des Friedensvertrages mit der ältesten Guerillagruppe ist noch kein umfassender Frieden in Sicht. Insbesondere die integrierte Landreform und das Drogensubstitutionsprogramm wurden unter der Nachfolgeregierung von Iván Duque (2018-2022) nur sehr schleppend umgesetzt. Große Teile der FARC-EP haben sich nach der Waffenabgabe 2017 in das zivile Leben integriert, andere haben sich wiederbewaffnet. Mit der ELN wurden die Friedensverhandlungen wieder aufgenommen und einige der Gruppierungen der Ex-FARC sowie 22 paramilitärische Einheiten stehen mit der derzeitigen Regierung von Gustavo Petro im Gespäch und haben einen Waffenstillstand vereinbart. Dennoch halten Zwangsvertreibungen, Zwangsrekrutierungen und Menschenrechtsverletzungen gegen Umwelt- und Menschenrechtsaktivist*innen weiterhin an.

Die derzeitige Regierung hat eine Reihe sozialer Reformen auf den Weg gebracht, Kleinbäuer*innen Land zur Verfügung gestellt und setzt sich für eine sozial gerechte Energiewende sowie Massnahmen gegen die Klimakrise ein. Kein leichtes Unterfangen inmitten einer polarisierten Gesellschaft und geopolitischen multidimensionalen Krisen. Dabei stellt die Transformation des extraktivistischen Entwicklungsmodells, das – unbesehen der Verletzungen der WSKU-Rechte – auf Abbau von Ressourcen beruht, eine besondere Herausforderung dar. Beispielhaft steht dafür der Steinkohleabbau in Nordkoumbien, Cerrejón im Department La Guajira, dem Gebiet der indigenen Bevölkerung der Wayuu. Die Folgen sind massive Umweltschäden, die den Menschen ihre Lebensgrundlagen entziehen und der Feinstaub sowie Schwermetalle Krankheiten verursachen. Dort starben in den letzten Jahren 5.000 Kinder an Unternährung und Präsident Petro rief Mitte dieses Jahres den humanitären Notstand aus. Aus dem größten Tagebaugebiet Lateinamerikas bezieht Deutschland fast ein fünftel seiner Kohleimporte.[5]

Dennoch wurden insbesondere auf der Grundlage der Arbeiten der Instanzen des Integralen Systems für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nicht-Wiederholung (Instanz zur Suche nach gewaltsam Verschwundenen, Wahrheitskommission (CEV) und Sondergerichtsbarkeit für den Frieden) bedeutende Fortschritte in der Friedens- und Versöhnungsarbeit geleistet. Eckpfeiler dieses Wahrheitsfindungsprozess[6] bilden vor allem die Anhörung der 30.000 Opfer - „Zuhören im Territorium“ in den Häusern der Wahrheit und die Aufarbeitung der Zeugnisse unter einer ethnischen und einer Genderperspektive. Die Empfehlungen der CEV umfassen Massnahmen für das Bildungswesen zum Aufbau einer Dialogkultur zur friedlichen Konfliktbearbeitung. Die juristische Aufarbeitung der unterschiedlichen Gewalttaten im komplexen System des bewaffneten Konflikts durch die Sonderjustiz für den Frieden dauert noch bis 2037 an.

Lessons Learned

Sowohl die vorherigen Erfahrungen in Ecuador als Beraterin für Internationale Zusammenarbeit (2004-2011) als auch meine Arbeit in Kolumbien haben meine weitere Arbeit in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit nachhaltig geprägt. Hervorzuheben sind die kritische Reflexionen mit den Kolleg*innen vor Ort zu dem Begriff “Entwicklung“ und dem zugrunde liegenden Wachstumsmodell sowie zu den Themen Rassismus, postkoloniale Kontinuitäten und asymmetrischen Machtbeziehungen.

Der mittlerweile umstrittenen Begriff „Entwicklungsdienst“ hat meiner Erfahrung nach wenig mit der Realität in der konkreten Zusammenarbeit zu tun. Diese besteht auch in der kritischen Auseinandersetzung mit unseren persönlichen „Denkmodellen“, die sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen und historischen Kontexten herausgebildet haben. Es handelt sich meines Erachtens um Prozesse des  globalen Lernens und der Bildung zu einem kritischen Weltbürgertum[7], das in der Lage ist, die unterschiedlichen Perspektiven des sogenannten „globalen Südens und Nordens“ zu verstehen und anzuerkennen. Damit können wir im „Kleinen“ zu einer menschenrechtsbasierten sozialen und ökologischen Gerechtigkeit und damit zum Frieden beitragen. Mit der Dekolonisierung des Denkens, im Sinne einer Auflösung postkolonialer und eurozentristischer mentaler Verstrickungen, können wir in Wertschätzung vielfältiger und gleichberechtigter Wissens- und Sinnsysteme in einen transkulturellen Dialog vieler Wissen (Dialogo de Saberes“) treten[8].

Seit meiner Rückkehr arbeite ich freiberuflich zu den Themen inter-/transkulturelle und Diversity-Kompetenz. Mein Schwerpunkt liegt weiterhin auf der Arbeit zu Kolumbien als Trainerin  in der Landesanalyse bei der Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ) und ehrenamtlich als Mitglied bei dem Bonner Kollektiv von Deutschen und Kolumbianer*innen COLPAZ – Frieden für Kolumbien[9].

veröffentlicht am 15.12.2023


Eckpunkte zu Kolumbien

Größe: 1,141 Mio. Qkm

Verwaltungsstruktur: Überwiegend zentralistisch, 32 Provinzen, 1.122 Munizipien und Hauptstadtdistrikt.

Hauptstadt: Bogotá; 8,4 Millionen Einwohner

Bevölkerung: 50,88 Mio.; Wachstumsrate 1,2% pro Jahr.

Regierungsform: Präsidialdemokratie; Kongress mit zwei Kammern: Senat und Repräsentantenhaus

Staatsoberhaupt: Gustavo Petro, Pacto Histórico, Amtszeit ab 7. August 2022 für vier Jahre.

Bevölkerungsstruktur: Indigene Völker (115 Gruppen; 2 Mio = 4,4 % der Bevölkerung; 65 verschiedene Sprachen)

Afrokolumbianer*innen (Karibik und pazifische Küstenregion (11 % der Bevölkerung)

Weiße Nachkommen euopäischer Einwanderer (38 %)

Literatur

[1] Für einen Einblick in die Arbeit zivilgesellschaftlichen Engagements siehe G. Weber: „Es ist Zeit für den Frieden!  Herausforderungen für die Zivilgesellschaft im kolumbianischen Friedensprozess“, Interview mit Luis Ignacio Sandoval 09/2015.

[2] Dialog, im ursprünglichen Wortsinn meint „dia“ „durch“ und „logos“ „das sinnvolle Wort“. David Bohm: „Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen“, Stuttgart 2014.

[3] UNESCO: Kultur des Friedens. Ein Beitrag zum Bildungsauftrag der UNESCO:

Building Peace in the Minds of Men and Women, 02/2017

[4] UNDP: Democratic Dialogue – A Handbook for Practitioners, 2007 

UNDP: Practical Guide on Democratic Dialogue, 2013

[5] Hans Weber: „Inforeise von Kolumbien-Aktivistinnen: "Toxischer" Kohleabbau für deutsche Profite“, 05.12.2023

[6] Das Mandat der Wahrheitkommission lief vom 28.11.2018 bis 28.06.2022; Abschlussbericht: „Hay futuro si hay verdad“

Die kolumbianische Wahrheitskommission: Der Disput um die Erinnerung; Herausgeber: FDCL e.V. und Nodo Alemania de apoyo a la CEV Colombia; 22.11.2022 

[7] UNESCO: „Bildung zum Weltbürger bietet Lernenden, die in einer Welt voller Konflikte, aber auch voller Chancen aufwachsen und in ihr solidarisch leben lernen wollen, eine klare Perspektive. Sie vermittelt Kenntnisse, Kompetenzen, Werte und Einstellungen, die sie befähigen, an einer gerechteren Welt für alle zu arbeiten.“, in "Kultur des Friedens – Ein Beitrag zum Bildungsauftrag der UNESCO: Building Peace in the Minds of Men and Women ", 02/2017 S.67

[8] Beispiele dafür sind im Andenraum „Buen Vivir“  und international  „Pluriversum“

[9] Informationen zu den Aktivitäten von COLPAZ finden sich unter: https://www.wissenskulturen.de/wp_wissenskulturen/index.php/colombia-paz-archiv/

Kontakt: colpaznrw@riseup.net;