Netzwerken will geübt sein
Reflexion über ein sehr praxisnahes Seminarwochenende in Siegburg
Von Seda Seusing (Dezember 2024)
Besser lassen sich Theorie und Praxis kaum verbinden. Das AGdD-Seminar „Netzwerken will geübt sein“ führte uns Teilnehmende aus dem Seminarraum in Siegburg schnurstracks auf die dortige Job- und Fachmesse „ENGAGEMENT WELTWEIT“. Dort nahmen wir an einem Netzwerktreffen mit Politiker*innen und Aussteller*innen teil. Auf dem Podium saßen Entwicklungsministerin Svenja Schulze, die Bundestagsabgeordneten Kathrin Uhlig (Grüne) und Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) sowie EIRENE-Geschäftsführer Ali Al-Nasani.
Die Stimmung im Saal war etwas getrübt angesichts drohender Etatkürzungen für das Haushaltsjahr 2025, der bevorstehenden Bundestagswahl in Deutschland und der Unsicherheiten bezüglich Fördergeldern und Stellen. Und eigentlich hatten wir erwartet, dass alle an „Runden Tischen“ Platz nehmen würden, um näher ins Gespräch zu kommen. Doch leider blieb es bei der räumlichen Trennung zwischen Podium und Zuhörer*innen.
AKLHÜ-Geschäftsführerin Whitney Cecilia Akowuah beendete ihre Begrüßungsrede mit einem Zitat von Kofi Annan: „We have the means and the capacity to deal with our problems, if only we can find the political will.“ Das fasste für mich sehr gut den Tenor des gesamten Abends zusammen.
Herausforderungen für die Entwicklungszusammenarbeit
In der Diskussion und während des Austausches wurden viele verschiedene zahlreiche Themen angesprochen – wie etwa Partnerschaften auf Augenhöhe oder die fortbestehenden Kolonialstrukturen, die sich nur scheinbar oder vordergründig ändern, die Übernahme von Verantwortung und auch die zunehmende Skepsis vieler Menschen gegenüber der Entwicklungszusammenarbeit (EZ).
Dies traf sicher nicht auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Veranstaltung zu. Viele bekannten sich dazu, mit dem „EZ-Virus“ infiziert zu sein – eine Metapher mit der EIRENE-Geschäftsführer Ali Al-Nasani beschrieb, wie sehr diese Arbeit ins Herzblut übergeht.
Besonders beeindruckt hat mich die Authentizität von Ministerin Svenja Schulze, die sehr offen über ihren Arbeitsalltag sprach und ihre Erfahrungen bei einem Besuch an der Grenze zwischen Tschad und Sudan schilderte. Sie betonte die zentrale Bedeutung der Zusammenarbeit „von Süd nach Nord“ – nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch aus der Verantwortung des Globalen Nordens, die sich aus der kolonialen Vergangenheit ergibt. Im Podiumsgespräch herrschte Einigkeit, darüber dass die Entwicklungszusammenarbeit hier vor großen Herausforderungen steht und zukunftsfähiger werden muss.
Für mehr Zustimmung sorgen
Ein Thema, das alle Anwesenden beschäftigte, war die wachsende Skepsis gegenüber der Entwicklungszusammenarbeit und die sinkende Bereitschaft, diese zu unterstützen. Für den „Meinungsmonitor Entwicklungspolitik 2024“ hat das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval) untersucht, wie die deutsche Bevölkerung zum Thema Entwicklungszusammenarbeit steht. Laut DEval sprechen sich inzwischen 43 Prozent der Befragten für eine Reduzierung der EZ aus – das sind 24 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Befragung 2022.
Dabei lassen sich unter den Skeptiker*innen im Wesentlichen drei Gruppen ausmachen: eine „rechte Fraktion“, die „Unwissenden und Uninteressierten“ sowie eine kritische Fraktion „aus den eigenen Reihen“, die sagt: „So wie bisher kann es nicht weitergehen.“
In der Diskussion kristallisierte sich aus diesen Ergebnissen die Erkenntnis: Wir müssen uns klarer gegen rechte Narrative positionieren. Diese verzerren die Zusammenhänge, reißen Fakten aus dem Zusammenhang oder stellen sie bewusst falsch dar. Ein bekanntes, unrühmliches Beispiel sind die „Radwege in Peru“, die immer wieder angeführt werden, um die angebliche Unsinnigkeit der deutschen EZ zu belegen.
Solche Narrative haben zur Folge, dass Menschen auf Zahlen, Kosten und Nutzen reduziert und dass ihre Menschlichkeit und ihre Geschichten ignoriert werden. Die katastrophalen Folgen eines solchen Denkens sind aus der deutschen Geschichte nur zu gut bekannt. Gerade deshalb dürfen wir nicht aufgeben. Wir müssen uns deutlich positionieren, Solidarität zeigen und Verantwortung übernehmen.
Um den Herausforderungen in der Kommunikation mit den ersten beiden Skeptiker*innen-Fraktionen zu begegnen, schlug Ministerin Schulze zwei Ansätze vor:
Wir müssen die Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit deutlicher kommunizieren.
In Deutschland müssen wir unsere Erfolge klarer und selbstbewusster darstellen. Dabei geht es nicht nur um Zahlen, sondern vor allem um Lebensgeschichten, die Menschen emotional ansprechen und inspirieren.Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen.
Dies gilt sowohl für die Partner*innen in den Ländern, in denen wir gemeinsam arbeiten, als auch für diejenigen in Deutschland, die bisher wenig Berührungspunkte mit diesen Themen haben.
Mein Vernetzungsfazit
Viele Aspekte dieses spannenden Netzwerktreffens wurden in den beiden folgenden Seminar-Tagen immer wieder aufgegriffen. Wir beschäftigten uns nicht nur intensiv mit Vernetzungsmöglichkeiten und -strategien, sondern reflektierten auch ausführlich die Vergangenheit unserer Projekte während des Entwicklungsdienstes und zogen Parallelen zu unserer aktuellen Arbeit. Damit bot das Wochenende wirklich viele Möglichkeiten: den Austausch mit Aussteller*innen auf der Messe, spannende Podiumsdiskussionen, angeregte Gespräche über Machtsymmetrien beim Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt in Siegburg und das gemeinsame Revue passieren lassen des Tages mit den Seminarteilnehmenden am Abend.
Vernetzen tut gut – und auch die Selbstreflexion, der kritische Blick auf die eigene, individuelle Haltung: Welche Werte vertrete ich, wie gestalte ich meine Arbeitsprozesse, welche Ziele verfolge ich – und wie trage ich damit zu einem größeren Ganzen bei?
Über die Autorin
Sada Seusing
M.A. Interkulturelle Kommunikation und Europa Studien
2020 bis 2022:
Bosnien und Herzegowina,
KURVE Wustrow / EIRENE