Welche ersten Schritte werden denn zur Umsetzung der deutschen feministischen Entwicklungs- und Außenpolitik unternommen?

Der Ansatz einer Feministischen Außen- und Entwicklungspolitik hat natürlich Einfluss auf die Programmentwicklungsebene. Das beginnt konkret bei der Ressourcenverteilung, dem so genannte Gender Budgeting. Bei der Planung und Verteilung der Haushaltsmittel wird nun verstärkt darauf geachtet, welche Auswirkungen diese Mittel auf die Förderung von Gleichstellung und den Abbau struktureller Ungleichheiten haben.

BMZ und AA haben sich verpflichtet, eine feste Quote von Ressourcen für Gender-Ziele vorzuhalten. So wird das BMZ 93 Prozent aller neuzugesagten Projektmittel für Vorhaben bereitstellen, die Gleichstellungsziele verfolgen. In der Vergangenheit waren es lediglich etwa 60 Prozent. Dabei sollen 8 Prozent für Maßnahmen zur Verfügung stehen, deren primäres Ziel die Geschlechtergleichstellung ist, und 85 Prozent für Vorhaben, die dies sekundär, also als Nebenziel, verfolgen.

Dann wird nun auch bei der Gestaltung von Politik und Programmen stärker auf die Bedürfnisse der betroffenen Menschen und besonders die bislang marginalisierter Gruppen geachtet. Das heißt, man führt intersektionale Bedürfnisanalysen durch, man betrachtet in der Planung systematisch verschiedene Ebenen von Diskriminierung und prüft welche Strukturen wie geändert werden müssen, um Gleichstellungsziele zu verwirklichen.

Es gibt auch Kritik. Wenn wir uns auf die Entwicklungszusammenarbeit konzentrieren: Was sind die bedeutendsten Kritikpunkte und wo gibt es den größten Widerstand?

Ein Punkt, der immer wieder hinterfragt und diskutiert wird, ist: Wie feministisch ist das, was jetzt in den Leitlinien und Handlungsfeldern beschrieben ist? Ist das nun die feministische Position? Hinter dem Begriff „Feminismus“ steht ja ein Pluralismus an Perspektiven und Bewegungen mit unterschiedlichen Interessen und Prioritäten, auch wenn es zentral immer um den Abbau von Ungleichheit und Diskriminierung geht.

Ein weiterer Aspekt ist: Wie transformativ sind diese Papiere des BMZ und AA geschrieben, wie sehr gelingt es, das Verständnis von Geschlechterrollen aufzubrechen. Beispielsweise werden in den Leitlinien des AA bestimmte Bedürfnisse immer noch als „Special Needs“ bezeichnet. So haben aber beispielsweise Menstruationsprodukte für etwa die Hälfte der Menschheit nichts mit speziellen Bedürfnissen zu tun. Das zeigt schon: Die Frage „Was ist normal, was ist der Standard und was die Ausnahme?“ ist wichtig und muss immer wieder neu gestellt werden.

Dann gibt es auch immer wieder Fragen: Wie rassismus-kritisch und kolonialismus-kritisch sind die politischen Ansätze von BZM und Auswärtigem Amt. Inwieweit werden hier Werte und Normen des Globalen Nordens zu weltweiten Standards erklärt. Das ist ein wichtiger Aspekt. Diesbezüglich hat das BMZ bereits einige Schritte getan, hier finden verschiedene Reflexions- und Entwicklungsprozesse auf dem Weg zu einem postkolonialen und rassismus-kritischen Ansatz statt.

Aber: Beide Ministerien haben sich ja verpflichtet, auch sich selbst, die eigenen Strukturen und internen Prozesse kritisch zu durchleuchten. Da zählen die Aspekte Rassismus- und Kolonialismus-Kritik sicherlich dazu.

Für die Partnerländer ist das sicherlich ein sehr wichtiger Aspekt?

Ja, andere Länder – vor allem im Globalen Süden – beobachten sehr genau, wie sehr diese selbstkritische Gestaltung der deutschen feministischen Außen- und Entwicklungspolitik gelingt.  Ganz besonders mit Blick auf die Aspekte Rassismus- und Kolonialismus-Kritik.

Was einige Länder auch sehr kritisch hinterfragen, ist: Wie konsistent ist die deutsche Menschenrechts- und Entwicklungspolitik eigentlich? In welchen Kontexten spricht Deutschland zum Beispiel Menschenrechte an und in welchen nicht. Und warum nicht?

Gibt es denn schon erste Erfolge zu vermelden?

Die Frage nach ersten Erfolgen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Es muss jetzt zunächst einmal ein spezifisches Monitoring aufgebaut werden, um die Wirkungen der Neuausrichtung im Sinne einer Feministischen Entwicklungspolitik festzustellen. Es ist jetzt erst einmal zu klären, welche Evaluierungs- und Monitoring-Möglichkeiten es dazu überhaupt gibt. An welchen Faktoren ist der Erfolg einer feministischen Entwicklungspolitik festzumachen? Was sehen die Ziele denn nun ganz konkret aus? Dazu ist das Konzept aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausreichend operationalisiert worden.

Was sich aber feststellen lässt – und das sehe ich schon als Erfolg: Es wird nun über Themen wie Gender Budgeting oder intersektionale Bedürfnisanalysen in Räumen diskutiert, in denen das vorher nie der Fall gewesen wäre.


Für die Umsetzung der feministischen EZ braucht es Fachleute. Was müssen/sollten die mitbringen?

Der feministische Ansatz sorgt dafür, dass Genderaspekte nicht mehr bloß als zusätzliche Facetten betrachtet werden, sondern es geht nun um eine grundsätzliche Herangehensweise beim Konzeptionieren und Umsetzen von Themen und Projekten. Damit erhält jede Art von Expertise im Genderbereich einen neuen Stellenwert.

Das kann auch für Fachkräfte aus dem Entwicklungsdienst relevant sein – etwa, wenn jemand beispielsweise im Agrar- oder Bildungsbereich gearbeitet hat und in diesen Kontexten auch mit Themenfeldern wie Gender&Diversity zu tun hatte. Diese Leute bringen häufig ganz wichtige Erfahrungen mit: Sie haben beispielweise Intersektionalität vor Ort konkret erlebt. Oder die Möglichkeiten und Wirkungen feministischer Perspektiven und Ansätze in ihren Projekten.

Diese Art der Expertise ist nun im Zusammenhang feministischer Politik sehr wertvoll und gefragt. Das ist manchen Fachkräften vielleicht noch gar nicht ausreichend bewusst. Sie rückt sozusagen aus der Rolle der Zusatz-Kompetenz ins Zentrum eines Profils und kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, eine feministische Außenpolitik über die derzeitige Legislaturperiode hinaus zu gewährleisten? Wie lässt sich das Erreichte festigen?

Wir müssen daran arbeiten, einen Kulturwandel, also einen umfassenden systematischen Wandel herbeizuführen. Die Aufgabe ist, den Menschen in den Ministerien und in den Behörden zu erklären, warum wir eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik brauchen und wie diese funktioniert. Wir müssen sie überzeugen, dass eine diversere, inklusivere und transformativere Politik zu besseren Ergebnissen führt. Und zwar für alle. Wenn wir dieses Bewusstsein in den Köpfen verankern, dann lässt sich das nicht so leicht rückgängig machen, auch wenn in der nächsten Legislaturperiode jemand wieder andere Prioritäten setzt.

Und dann gibt es natürlich einige harte Mechanismen, die für eine gewisse Nachhaltigkeit sorgen – beispielsweise aktuelle Personalentscheidungen in den Häusern, die die Repräsentanz-Lücke verkleinern. Oder auch das Gender Budgeting: Es bestimmt über einen längeren Zeitraum die Ziele, Instrumente und Prozesse. Die sind ja dann einmal in der Welt und die wirken auch nach.

Januar 2023

Das Interview führte Dieter Kroppenberg, Topik

Weitere Informationen

Dritter entwicklungspolitischer Aktionsplan zur Gleichstellung  der Geschlechter (2023–27)

Themenseite BMZ: Feministische Entwicklungspolitik – für gerechte und starke Gesellschaften weltweit

 

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